Sonnenbühler Schüler werden durch Lesepaten unterstützt

SONNENBÜHL. Isabella Kraxner greift zu einem Buch, schlägt es auf. »Hier, an dieser Stelle haben wir letzte Woche aufgehört.« Ihr Patenkind erinnert sich. Die Handlung hat sich das Mädchen gemerkt und ist gleich wieder mittendrin in der Geschichte. Erst liest Isabella Kraxner etwas vor, dann liest die Grundschülerin selbst einige Zeilen. Und natürlich unterhalten sich die beiden. Sie sind mittlerweile zu einem festen Team geworden. Das Mädchen freut sich jede Woche auf den Besuch von Isabella. Hier wird nicht nur lesen gelernt, sondern Vertrauensarbeit geleistet.

Isabella Kraxler aus Sonnenbühl ist Leselern-Patin an der Steinbühlschule. Sie hat sich auf einen Aufruf im Amtsblatt hin gemeldet. Ehrenamtlich mit Kindern arbeiten – das ist etwas für die junge Frau. Auch Gabriele Lutz, mittlerweile Rentnerin, wollte mit ihrer Zeit etwas Sinnvolles anfangen. Sie und weitere Sonnenbühler übernehmen Patenschaften an der Steinbühlschule für Kinder, die Schwierigkeiten beim Lesen haben. Einmal wöchentlich kommen sie in die Schule, lesen »ihrem« Kind vor, leiten es zum und beim Lesen an. Seit Anfang des Schuljahres gibt es an der Steinbühlschule in Undingen, koordiniert über den Verein Mentor in Reutlingen, Leselern-Paten.

»Die Leselernkompetenz lässt nach. Kinder sind weniger mit Büchern konfrontiert«

Der Bedarf ist selbst an einer kleinen Einrichtung wie der Steinbühlschule gestiegen, nicht nur, weil sich die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund, die verständlicherweise Defizite mitbringen, erhöht hat. Schulleiterin Birgit Wöhrer sagt: »Die Leselernkompetenz lässt nach. Kinder sind weniger mit Büchern konfrontiert.« Vereine, Hobbys, digitale Angebote: »Das alles kostet Zeit, die von der Lesezeit abgeht.« Auch daheim werde häufig nicht mehr vorgelesen, Eltern im Alltagsstress finden kaum Muße, sich damit und dem Kind zu beschäftigen. »Wenn ein Kind dann mit sechs Jahren in die Schule kommt, ist das ganz schwer nachzuholen, was es bis dahin an Lesekompetenz verpasst hat.« Auch die Wortschatzarmut ist bei einigen Kindern größer geworden. Die Steinbühlschule will gegensteuern. Wie? Erste Gedanken dazu haben sich die Lehrer 2017 gemacht, 2018 hat die Schule ein Leselernkonzept auf den Weg gebracht. Ein Baustein ist seit 2019 das Lesepaten-Projekt.

Gabriele Lutz betreut eine Zweitklässlerin, die seit einem Jahr in Deutschland lebt. »Sie ist eine sehr motivierte Schülerin«, sagt sie. »Und ich meine, sie hat schon Fortschritte gemacht.« Aber das Mädchen ist eher still, hat wenig geredet. Mittlerweile, so sagt auch die Schulleiterin, ist das Mädchen aufgeblüht, spricht. Dass einmal die Woche jemand da ist, der sich nur Zeit für sein Patenkind nimmt, »Zuwendung schenkt«, Vertrauen und eine Beziehung aufbaut, sei ein zusätzlicher Aspekt. »Für manche Kinder ist Lesen oft negativ besetzt«, sagt Birgit Wöhrer. Zum Beispiel, weil sie nicht so gut lesen und laut vor der Klasse vorlesen können wie andere gleichaltrige Kinder.

»Wer nicht richtig lesen kann, hat es schwer im Alltag«

Lesen ist eine Schlüsselkompetenz, die nicht nur für die Schule, nicht nur für den Deutschunterricht wichtig ist, sondern für das Leben. Selbst wer gut rechnen könne, aber keine Sachaufgaben lesen und verstehen kann, ist im Nachteil. „Und lesen kann man auch verlernen“, sagt Birgit Wöhrer – was für die weitere Schullaufbahn, den späteren Beruf, den Alltag Probleme birgt. »Wer nicht richtig lesen kann, hat es schwer im Alltag«, ist Gabriele Lutz überzeugt.

Motiviert werden die Kinder nicht nur mit den kleinen Erfolgserlebnissen, wenn sie sich verbessern, sondern auch mit einer Lesekarte, die sie zu jeder Stunde mitbringen und danach einen der 24 Smileys ausmalen dürfen. Nach jeder sechsten Stunde gibt es eine kleine Überraschung, etwa einen Büchergutschein. So ist das Lesen positiv besetzt. Und auch die Lesepaten profitieren vom Projekt: »Man bekommt ganz viel zurück«, sagt Gabriele Lutz: Dankbarkeit, Freude,

Sechs Kinder erhalten ab Februar – immer das Einverständnis der Eltern vorausgesetzt – die zusätzliche Unterstützung, um Lesefähigkeit und Textverständnis zu verbessern. Bedarf hätten aber 15 Mädchen und Jungen an der Steinbühlschule, sagt die Schulleiterin, die das Projekt so organisiert, dass die Kinder keinen Regelunterricht verpassen, aber nicht noch für eine zusätzliche Stunde in der Schule sind. Bis zum Ende des Schuljahres kommen die Lesepaten einmal wöchentlich in die Schule. Dann wird evaluiert, ob und welche Fortschritte die Kinder gemacht haben, festgelegt, ob das Lesepaten-Projekt fortgesetzt wird und wenn ja, wie noch mehr Kinder davon profitieren können. (Cordula Fischer, GEA)